Es gibt noch Potential für Bahnreisende aus dem Norden
(4.6.2010) Die Zugverbindungen zwischen den nördlichen Ländern wie Deutschland und Niederlande in die Schweiz sind hervorragend. Trotzdem reisen vergleichsweise wenige Feriengäste aus diesen Herkunftsländern mit der Bahn an.
Zwischen Deutschland und der Schweiz gibt es mehr als 30 internationale Tagesverbindungen mit der Bahn. Dazu kommen eine Reihe von Nachtverbindungen mit dem City-Night-Line. „Kein anderes Nachbarland Deutschlands ist bahnmässig so gut angeschlossen wie die Schweiz“, sagt Christoph Leu, Key Account Manager von Rail-Away mit Sitz im deutschen Freiburg im Breisgau. Dank der deutschen Verbindungen gilt dies – gleichsam in der Verlängerung – auch für die Niederlande und Dänemark. Von Kopenhagen oder Amsterdam kann man zudem im Schlaf- oder Liegewagen über Nacht die Schweiz erreichen.
Tagsüber fahren die ICE praktisch stündlich auf der Rheinschiene (Köln/Frankfurt) sowie von Hamburg und Berlin nach Basel. Dazu kommen Direkt-Verbindungen zwischen Stuttgart und Zürich sowie zwischen München und Zürich. Basel ist mit Abstand das wichtigste Eintrittstor für Zugreisende aus Deutschland. Rund 70 Prozent der Passagiere erreicht die Eidgenossenschaft via Basel, je 15 Prozent entfallen auf die Übergänge Schaffhausen und St.Margrethen.
Trotz der guten Anschlüsse bleibt der Anteil der Zugreisenden eher gering. „Die deutschen lieben das Auto und der Zug erreicht im Reiseverkehr nur einen Anteil von 6 Prozent“, sagt Christina Marzluff, Direktorin von Schweiz Tourismus für Deutschland & Österreich in Frankfurt. Noch geringer sei dieser Anteil bei den niederländischen Ferienreisenden. Erstaunlicherweise nutzen aber 31 Prozent der ausländischen Feriengäste in der Schweiz den ÖV. „Auch mein Ehemann lässt in der Schweiz sein Auto stehen“, erzählt Marzluff.
Tatsächlich geniesst die Schweiz den Ruf eines perfekten ÖV-Landes mit funktionierendem Taktfahrplan und guter Erreichbarkeit selbst abgelegener Orte mit dem Postauto. Noch dazu ist die Benutzung von Bahnen und Bussen vergleichsweise preiswert, vor allem aufgrund der Rabatt-Systeme wie Swiss Card oder Swiss Pass. „Wenn ich das öffentliche Verkehrssystem der Schweiz mit dem von Deutschland vergleiche, kann ich nur neidisch werden“, sagt Manfred Redelfs, Publizist aus Hamburg und regelmässiger Berggänger in den Schweizer Alpen.
Bei den Touristikern besteht natürlich der Wunsch, potentielle ÖV-Kunden schon bei der Anreise in die Schweiz zur Nutzung der Bahn zu animieren. „Wir wollen den Anteil der Anreisenden per Bahn erhöhen“, sagt Marluff und verweist auf die aktive Werbung für Bahnreisen unter www.MySwitzerland.com/bahnreisen. Dazu kommen spezielle Aktionen. So wurde im Mai unter dem Titel „Tessiner Bahnerlebnisse“ dem Bordlektüre-Magazin „DB Mobil“ eine Broschüre mit dem Schwerpunkt Tessin beigefügt. Angeheftet war eine Postkarte, für alle, die nicht eine Website konsultieren oder sich ans Telefon hängen wollen.
Auch in den Niederlanden gibt man sich Mühe, die Schweiz als Bahnland zu vermarkten. „In den letzten Jahren haben immer mehr Touroperators das Bahnland Schweiz ins Programm aufgenommen; der Glacier-Express ist der absolute Renner“, sagt Ingrid Klassen vom niederländischen Ableger von Schweiz Tourismus in Amsterdam. Die niederländischen Reisveranstalter versuchten, auch die Anreise mit dem Zug zu organisieren. Für den Markt in Dänemark gehen Experten davon aus, dass die Anreise per Zug momentan eine vollkommen untergeordnete Rolle spielt.
Wie sich Gäste aus Deutschland und den Niederlanden per Bahn abholen lassen, macht vorbildlich das Programm „ICE + Hotel“ im Berner Oberland vor. Bei der Buchung eines am Programm beteiligten Hotels (www.berneroberland-hotels.ch) ist die Hin- und Rückfahrt mit dem Zug ab jedem grösseren DB-Bahnhof eingeschlossen. Die Gäste können von Deutschland bequem per ICE bis Interlaken-Ost fahren. Und dies bereits seit 10 Jahren. Gäste aus den Niederlanden erhalten zusätzlich den Fahrschein von der Grenze in Emmerich bis zu ihrem Wohnort.
„Als diese ICE-Verbindung eingeführt wurde, dachte ich mir, dass wir etwas machen müssen, damit sie nicht gleich wieder eingestellt wird“, sagt Beat Anneler, Direktor von Thun Tourismus. Seine Idee der integrierten Bahnpausschalen verbunden mit fixen Hotelpreisen in Euro erwies sich als Renner. Inzwischen gibt es vier tägliche ICE-Direktverbindungen von Berlin nach Interlaken-Ost sowie eine Frühverbindung von Karlsruhe.
Davon kann man in Graubünden, der Destination mit den meisten Logiernächten in der Schweiz, nur träumen. Dort reisen laut Verkehrsverein rund 80 Prozent aller Gäste mit dem eigenen PKW an. Kein internationaler Qualitätszug erreicht die Bündner Hauptstadt Chur. Für den deutschen ICE ist in Zürich Endstation. Zwar gibt es von Brüssel (IC/IR 91) und von Hamburg (via Rheinlinie) direkte Züge, doch diese halten so häufig, dass sie als durchgehende Verbindungen unbrauchbar sind. „Zugtechnisch fühlen wir uns abgehängt“, meint Gieri Spescha, Head of Brand Managment von Graubünden Ferien.
„Wir haben effektiv ein grosses Problem“, doppelt Werner Glünkin, Leiter der Abteilung Öffentlicher Verkehr im kantonalen Amt für Energie und Verkehr nach. Besonders gravierend sei, dass Chur nicht im Halbstundentakt per Schnellzug an Zürich angebunden sei und kein europäischer Qualitätszug Graubünden erreiche, nachdem die SNCF den Versuch einer samstäglichen Direktverbindung Paris-Chur mit dem TGV nach zwei Wintern aufgegeben habe.
Der Kanton Graubünden möchte, dass die Deutsche Bahn eine ICE-Verbindung alle zwei Stunden bis nach Chur führt. Entsprechende Gespräche haben statt gefunden, aber noch zu keinem Ergebnis geführt, zumal die Deutsche Bahn mit ihrem ICE-Material zur Zeit in technischen Schwierigkeiten ist. Glünkin ist zudem der Meinung, dass die City-Night-Line von und nach Deutschland (Hamburg/Berlin) schon ab Chur und nicht erst ab Zürich verkehren sollte. Zudem pusht Graubünden den Ausbau der Rheintalschiene, um dereinst an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz angebunden zu sein.
Wenig macht man bisher, um die schnellen Bahnverbindungen mit Deutschland auch für den Tagestourismus zu propagieren. Dies liegt daran, dass die Verkehrsvereine ihre gesamten Anstrengungen dafür aufwenden, Übernachtungen zu generieren. Dabei gäbe es durchaus Potential im Bereich des Tagestourismus – beispielsweise bei der Kultur- und Museumsstadt Basel. Freiburg i.Br. liegt nur 30 Bahnminuten von Basel entfernt. Mit der Inbetriebnahme des neuen Katzenbergtunnels (voraussichtlich 2012/2013) wird die Fahrzeit auf gut 20 Minuten sinken. Spezielle Aktionen in Freiburg sind aber nicht geplant. Dabei zeigt der Erfolg des Baden-Württemberg-Tickets, dass Basel durchaus für Bahntouristen aus dem Ländle attraktiv ist. „Von diesem Bahnangebot profitieren wir sehr“, räumt Christoph Bosshardt, Marketing-Leiter bei Basel-Tourismus, ein.
Ein interessantes Produkt hat die Stadt Zürich vorzuweisen. Dort erhalten deutsche Kunden, die ein Ticket der 1.Kategorie für das Opernhaus erwerben, das Retour-Billett 1.Klasse von ihrem Heimatbahnhof bis nach Zürich gratis. „Generell ist die Bahn für die Städtereisen wichtig, da die Besucher in der Stadt kein eigenes Auto brauchen“, sagt Maurus Lauber, Leiter Marketing und Business Development von Zürich Tourismus. Pauschalangebote von Hotels mit eingeschlossener Bahnreise für Kunden aus Deutschland oder Holland sind aber auch in Zürich noch Zukunftsmusik.
Quelle: Gerhard Lob / www.litra.ch